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Gastlichkeit aus dem Mutterschoß
Das "campi im funkhaus"

von Curt Hondrich

Mal ehrlich. Wären Sie auf die Idee gekommen, die Gastlichkeit eines italienischen Restaurants mit "Mütterlichkeit" gleichzusetzen ? Ich nicht. Der Gedanke kam mir, als ich in Köln im "campi im funkhaus" saß und vor mir das Papierset auf dem Tisch sah. Und was sah ich da ? Zwischen den "speisen heute", die links und rechts an den Seitenrändern des Sets gedruckt waren, in der Mitte, auf der unbedruckten Fläche des Blattes, eingekastelt die Zeichnung einer Frau in einem - sagen wir mal - wilhelminischen Kleid, so wie ich Kleider zum Beispiel von alten Familienfotos oder aus dem "Struwwelpeter" kenne. Auf dem Arm trägt die Frau ein Kind mit dem Kopf eines ausgewachsenen Mannes, der eine Melone und einen wilhelminischen Schnauzbart trägt, der aber nur mit einem Kinderhemdchen bekleidet ist. Die Frau blickt das MannKind auf ihrem Arm liebvoll an, während das MannBaby ängstlich den Betrachter ansieht und sich am Kragen der Frau festhält.

Das ist eine Zeichnung des Kölner Karikaturisten Hanel. Klar. Aber warum hier und so augenfällig für den hungrigen Gast präsentiert? Und nicht nur auf dem Papierset.

Ich schlage die Speisekarte auf und finde auf der letzten Seite eine hochhackige, leicht mondäne Dame mit Sonnebrille. Und was entsteigt da zwischen ihren prallen Schenkeln ? Ein kleiner, gesellschaftlich korrekt gekleideter älterer Herr mit Brille. Natürlich wieder eine Schmunzel-Zeichnung von Hanel. Die Frauen als das starke Geschlecht ? Als der ewige Mutterschoß ? Göttinnen der Hungrigen ? Wie auch immer. Mich wundert es nicht mehr, warum im "campi" unter den Gästen stets ein Frauenüberschuss festzustellen ist. Immer etwa ein Drittel mehr als Männer. Das "campi" ist eben kein Anmach-Lokal, es ist ein Restaurant, in dem sich Frauen wohl fühlen. Das sagt jedenfalls auch meine Frau, die gerne ins "campi" geht, wenn sie in Köln ist. Und warum tut sie das ? Weil man unbelästigt sitzen kann. Man wird von keinem Kellner genötigt, sofort wieder eine neue Tasse caffé-latte zu bestellen, wenn die vorige gerade leer getrunken ist. Das schafft eine Atmosphäre, die der Entspannung dient und somit auch dem Gespräch. So leuchtet es ein, dass ich hier im "campi im funkhaus" - wie gesagt - viele Frauen finde, junge und nicht mehr so junge. Was für die Frauen gilt, trifft ansonsten auch auf die anderen Gäste zu. Ein gemischtes Publikum. Da gibt es kleine Gruppen Älterer und Jüngerer, aber auch Paare unterschiedlichen Alters und offensichtlich auch ganz unterschiedlichen Inhalts, nicht nur was die Portemonnaies angeht.

Überhaupt gibt es nichts in diesem Lokal, was ablenken müsste von einem intensiven Austausch der Meinungen, von dem Gegenüber, mit dem oder mit der ich ins "campi" gekommen bin. Der Raum - ein schmaler am Eingang gewinkelter Schlauch - macht keinen Eindruck von Enge. Der Raum ist so dezent möbliert, dass er großzügiger und breiter wirkt, als er tatsächlich ist. Zwar bietet er nur Platz für zwei Tischreihen rechts und links, dafür aber in der vollen Tiefe des Raumes. Diese Tiefe wird unterstrichen durch eine lang gezogene Theke, hinter der - wie ebenso an der Stirnwand des Raumes - kubistisch anmutende Wandfresken von Anton Wolff aus den 50er Jahren verraten, dass der Raum unter Denkmalschutz steht. Die einfachen, aber von italienischem Designer-Geschmack kündenden Tische und Stühle passen sich unauffällig in die nüchtern-klare Architektur des Raumes ein. Nichts ist hier überladen. Nichts ist aber modisch kühl. Und das, obwohl der Raum an der Außenseite von einer durchgehenden Glasfläche begrenzt wird, die bis zum Boden reicht. Das öffnet das "campi" nach außen. Ungemütlich wird es dadurch nicht. Denn die Fußgängerzone vor der Fensterfront wird fast zu einem Teil des Gastraumes. Die vorbei gehenden Passanten werden zur belebenden Szene. Wer allein hier im "campi" sitzt, hat Abwechslung durch die "people passing by". Dafür muss sich der Gast also nicht erst auf der "terrazza" des "campi" auf dem Wallrafplatz niederlassen, wo er zum passiven Teil des bewegten Bildes mit Menschen wird.

Der Blick nach Innen, in das "campi im funkhaus" hinein, entdeckt so etwas wie die unaufdringliche Bereitstellung einer Gastlichkeit, die dienen und nicht dominieren will, ohne dienerisch zu sein. "Verstehen Sie", würde jetzt Heinrich Böll fragen, der sicher auch in dieses Lokal gekommen wäre, wie er ins "campi" in der Hohestraße gerne kam. "Hier herrscht eine ausgezeichnete Stimmung, um mit jungen Leuten locker zu reden", hat Böll einmal gesagt. Ja. Das kann man auch hier im "campi" gut. Warum das so ist, weiß ich nicht zu sagen. Es liegt wohl nicht an den Portraitfotos des Kölner Fotografen Chargesheimer, dass im "campi" eine kommunikative Stimmung herrscht. Die kann man nicht planen, meint Gigi Campi, der genius loci. Sie ist einfach da. Es ist nicht die trunkene Kommunikationsfreude einer Kneipe oder wie sie im Kölner Karneval herrscht. Eine konzentrierte Gesprächs-Atmosphäre, ernsthaft, heiter, bisweilen engagiert. Je nach den Temperamenten der Gäste und ihrer Themen. Es herrscht eine durchaus erträgliche Leichtigkeit des Seins.

Ernsthaftigkeit hat an dieser Stelle eine geschichtliche Dimension. Denn schon während des Zweiten Weltkrieges, als es das Funkhaus an dieser Stelle noch nicht gab und hier das Hotel Monopol seine Bar hatte, da trafen sich bis 1943 hier an dieser Stelle des heutigen "campi" Intellektuelle, die im Widerstand gegen das Dritte Reich standen. An dem Tag, an dem sie verhaftet werden sollten, wurde das Hotel durch Bomben zerstört. Für Gigi Campi, dessen Vater wegen seiner Zugehörigkeit zur Sozialistischen Partei Italiens nach Köln geflohen war, für den gebürtigen Wahlkölner Gigi Campi, der immer öffentlich zu seiner links-demokratischen Gesinnung gestanden hat, ist dieser Ort, an dem nun sein Restaurant Einzug gehalten hat, von besonderem Traditionswert. Die Gäste, die diesen Hintergrund nicht kennen, werden davon nichts spüren. Und die, die ihn kennen, werden den Ort auch deshalb schätzen.

Am späteren Abend kann sich das "campi" noch einmal füllen. Dann nämlich, wenn nebenan im WDR ein Konzert oder eine öffentliche Diskussion zu Ende gegangen ist. Dann kommen die Menschen noch einmal ins "campi", um eine Kleinigkeit zu essen oder noch ein Glas zu trinken. Da kommen Künstler und die Besucher der Veranstaltungen gleichermaßen. Dann ist es wieder ein bisschen so, wie früher im "campi" auf der Hohestraße. Dann ist das "campi" wieder kultureller Treffpunkt wie in den Jahren von 1949 bis 1980, als das "campi" noch ein Synonym für ein Lokal war, in dem es sozusagen Eis und Kultur im Hörnchen gab. Die Jazzgeschichte der Stadt Köln beispielsweise ist ohne Gigi Campi und das "campi" nicht zu verstehen. Kurt Hackenberg, der damalige Kölner Kulturdezernent, verstieg sich zu der Äußerung: "Campi gehört zu Köln wie 4711." Und der Anthropologe Bertrand de Joubvenail, der es ja wissen müsste, hat gesagt: "Der Espresso ist hier besser als in Italien. Punkt."

Möge beides so bleiben. Punkt.